Melk, Cod. 662, fol. 139r
Gregor der Große, Vita Benedicti

Der heilige Benedikt als Ordensgründer und seine besondere Bedeutung während der benediktinischen Reformbewegung des Spätmittelalters zeigt sich in den zahlreichen handschriftlichen Zeugnissen zu seinem Leben und seine für alle Benediktinerklöster normgebende Regel, die gerne auch in eigenen Kompendien gesammelt wurden.1 Historische und literarische Grundlage für fast alle dieser Texte, die sich mit dem heiligen Benedikt beschäftigen, ist das zweite Buch der Dialoge Gregors des Großen aus dem 6. Jahrhundert, in dem in 38 Kapiteln Leben und Wunder des Heiligen beschrieben und von Gregor im Dialog mit seinem Schüler Petrus theologisch kommentiert werden.

Gregor ist um 540 in Rom geboren, entschied sich nach einer Laufbahn in der römischen Zivilverwaltung für ein monastisches Leben und wurde schließlich 590 Papst. Er stirbt 604 und hinterlässt ein breites Schriftum.2 Neben zahlreichen Kommentaren, Auslegungen, Predigten, Briefen und einem Handbuch für Bischöfe und Kleriker über die Kirchenführung zählen seine in vier Büchern verfassten Dialoge (Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum) zu den meistgelesenen Werken des Mittelalters. In den ersten drei Büchern beschreibt Gregor darin die Lebensideale heiliger Männer, das vierte Buch behandelt vor allem eschatolgogische Themen. Die literarische Form eines Gesprächs mit seinem Diakon Petrus wählt Gregor nur als äußere Einkleidung. Mehrheitlich werden lediglich Monologe aneinandergereiht, die rein narrativen Charakter haben. Buch eins und drei behandelen mehrere Heilige, während Buch zwei ganz dem heiligen Ordensgründer Benedikt von Nursia gewidmet ist.3 Diese Lebensbeschreibung hat maßgeblich über die Jahrhundert die Rezeption des heiligen Bendikt beeinflusst und hat auch für die monastische Reform im 15. Jahrhundert große Bedeutung. Denn die idealisierte Form des Heiligen spiegelt wieder, was Ziel eines jeden Mönchs sein muss. Es ist „Ansporn und Korrektur“ für den einzelnen und für Gregor „Grundanliegen bei der Abfassung der Dialoge“.4

Joahnnes Schlitpacher verweist mehrmals explizit auf Gregor den Großen und seine Bendektisvita als direkte Vorlage für sein Memoriale und stellt sich damit in die Tradtion des Kirchenvaters. Die fundierten Kenntnisse über Leben, Entscheidungen und Wirken des Heiligen als Teil eines monastischen Lebenskonzepts sind zentrales Element der Reformanliegen, die Schlitpacher vertritt.

Das Memoriale deutet bereits in seiner typographieschen Anlage auf die einzelne Abschnitte in der Lebensbeschreibung hin. Durch Abstand und Großschreibungen innerhalb der Verse wird auf die einzelnen Lebensepisoden bzw. späteren Kapitel aus Gregors Vita verwiesen. Vorliegende Edition bietet nun die Möglichkeit, die jeweiligen Verse bzw. Versteile aus den drei Fassungen des Memoriale graphisch zu markieren und synoptisch gegenüber zu stellen, die jeweils dem Kapitel der Vorlage entsprechen. So wird die stufenweise Kürzung von der Lebensbeschreibung punktuell nachvollziebhar und die Reduzierung auf ihren inhaltlichen Kerngehalt anschaulich dargestellt. Zusätzlich wird jedes Kapitel auf den vollständigen Text der Vorlage in der Online-Edition der Bibliotheca Augustuna verlinkt.5 Im Vergleich zum gesamten Kapitel Gregors lässt sich so erkennen, welche Taten, Ereignisse und Entscheidungen des heiligen Benedikt für den spätmittelalterlichen Reformer Johannes Schlitpacher von geringerer Bedeutung waren.


1. Siehe z.B. die Handschriften in der Bayerischen Staatsbibliothek München Clm 4423, Clm 4381 oder Melk, Stiftsbibliothek, Cod. 1087 (932). Ein Beispiel für ein solches Kompendium, wenn auch nicht aus der Melker Reformbewegung bei Verena Bestle-Hofmann, Unus liber de Sancto Benedicto. das Benediktskompendium des Jean de Stavelot und die Klosterreform des 15. Jahrhunderts (Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige. Ergänzungsband 50), Sankt Ottilien 2016.

2. Zu Leben und Werk von Gregor dem Großen siehe u.a. Fiedrowicz, M., Art. Gregor I., der Große, in: Lexikon der antiken christlichen Literatur (2002)³, S. 292-295.

3. Zur Einführung in die Dialoge siehe Gregor, der Große, Der hl. Bendedikt. Buch II der Dialoge, lateinisch-deutsch, hrsg. im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, St. Ottilien 2002; Gregor der Große, Vita Benedicti. Das Leben und die Wunder des verehrungswürdigen Abtes Benedikt, Lateinische/Deutsch, überse. und komm. von Gislea Vollmann-Profe, Stuttgart 2015 (Reclam), bes. Nachwort S. 151-157.

4. Siehe Gregor, der Große, Der hl. Bendedikt. Buch II der Dialoge, lateinisch-deutsch, hrsg. im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, St. Ottilien 2002, S. 28.

5. https://www.hs-augsburg.de/~harsch/Chronologia/Lspost06/GregoriusMagnus/gre_d200.html